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Triage – was ist das und die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes

Behinderung Gesundheit Pressemeldung

Seit Jahren verfolge ich als Sozialpolitiker mit Interesse die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes. In diesen Tagen diskutierte ich mit Mitgliedern unseres Verbandes ein Thema zur Problematik der Triage, welche im Zusammenhang mit den während der Pandemie und hier zunehmender Inzidenzwerte in einigen Landkreisen – besonders in Sachsen und Thüringen – und zunehmenden Belastungen des Gesundheitswesens relevant geworden sind.

Hierzu wandten sich Kläger – die insbesondere Menschen mit Behinderungen vertraten – an das Bundesverfassungsgericht.

Nachdem ich mich eingehend mit der Problematik befasst habe, musste ich zu der Schlussfolgerung kommen, dass die hierzu ergangene Entscheidung aus Karlsruhe sich der deutsche Gesetzgeber hätte sparen können. Immer wieder war in den vergangenen Monaten – vor allem, wenn es eng wurde auf den Corona-Intensivstationen – über die möglicherweise notwendige Triage spekuliert worden. Im Bundestag tat sich hingegen leider nichts in dieser Frage. Zu sehr gewinnt man in Gesprächen mit unseren Mitgliedern den Eindruck, dass sich die Abgeordneten im Bundestag  immer mehr mit sich selbst und parteipolitischen Querelen, statt mit grundsätzlichen Fragen, die die Wähler bewegen, befassen. Jetzt sind die Karlsruher Richter nun erneut wirksam geworden und haben  gezwungenermaßen zu dem Problem Stellung  bezogen und sehr überzeugend das Problem der Triage beantwortet und den Bundestag zum Handeln aufgefordert.

Der Staat, so die Verfassungsrichter, müsse Medizinerinnen und Medizinern Vorgaben für die Verteilung von schwerstkranken Patienten und Patientinnen auf eine beschränkte Zahl von Klinikintensivbetten machen. Und zwar per Gesetz. Wenn wegen der Corona-Pandemie nicht alle Erkrankten intensivmedizinisch behandelt werden können, dürfen bei der Auswahl der zu behandelnden Patientinnen und Patienten behinderte Menschen keinesfalls  benachteiligt werden.

So selbstverständlich das klingen mag, in Notsituationen wie in dieser Pandemie stehen Ärzte, Ärztinnen, Schwestern und Pflegekräfte zeitweise vor Entscheidungen, die sie in Grenzbereiche menschlicher Befugnisse bringen. Das Wort Triage drückt es in unseren Ohren vielleicht angenehmer aus – es beschreibt jedoch nichts anderes als das Sortieren Schwerstkranker in die Gruppe derjenigen, die gerettet werden, und in die Gruppe, denen nicht mehr geholfen wird.

Bislang behalfen sich Ärztinnen und Ärzte mit „Klinisch-ethischen Empfehlungen“ der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin. Immerhin! Die Medizinerinnen und Mediziner benötigten trotz aller Expertise einen ethischen Kompass – und schufen sich damit selbst einen.

Doch die Klägerinnen und Kläger, neun Menschen mit Behinderungen und Vorerkrankungen, sorgten sich, weil auch die Gebrechlichkeit des Patienten oder der Patientin und zusätzlich bestehende Krankheiten bei der Triage eine Rolle spielen. Sie befürchteten schlichtweg, aufgrund ihrer statistisch schlechteren Überlebenschancen immer das Nachsehen zu haben. Dieses Befürchten kann man durchaus verstehen und damit das schnelle Eingreifen des Bundesverfassungsgerichtes nachvollziehen.

Die Karlsruher Entscheidung darf keinesfalls als Misstrauensvotum gegenüber des seit fast zwei Jahren bis weit über die Erschöpfungsgrenze hinaus kämpfenden Klinikpersonals angesehen werden. Im Gegenteil, sie beweist Respekt vor der Leistung in dieser Pandemie.

Joachim Heinrich
Vorsitzender des Sozialpolitischen Ausschusses